Pressemitteilung
C-63/14;
Verkündet am:
09.07.2015
EuGH Europäischer Gerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt! Frankreich hat seine Verpflichtungen verletzt, indem es unterlassen hat, eine der SNCM für bestimmte Dienstleistungen im Seeverkehr zwischen Marseille und Korsika gewährte Beihilfe von 220 Mio. Euro zurückzufordern Zum Urteilstext (Englisch!) Zur englischen Version der Presserklärung Die Société Nationale Corse-Méditerranée (SNCM) ist ein französisches Schifffahrtsunternehmen, das regelmäßige Verbindungen vom französischen Festland aus sicherstellt. Mit Beschluss vom 2. Mai 20131 hat die Kommission die an die SNCM und die CMN (Compagnie méridionale de navigation) für Dienstleistungen im Seeverkehr zwischen Marseille und Korsika in den Jahren von 2007 bis 2013 im Rahmen eines Vertrags über gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen gewährten Ausgleichszahlungen als staatliche Beihilfen eingestuft. Die der SNCM und der CMN für ganzjährig erbrachte Verkehrsdienste (Grunddienst) gewährten Ausgleichsleistungen wurden zwar als mit dem Binnenmarkt vereinbar eingestuft, doch wurden die Ausgleichsleistungen, die der SNCM für die von ihr während der Spitzenverkehrszeiten erbrachten Dienste (Zusatzdienst) gewährt wurden, von der Kommission für unvereinbar mit dem Binnenmarkt befunden. Die Kommission ordnete daher die Rückforderung der unvereinbaren Beihilfen in einer Höhe von insgesamt 220 Mio. Euro an2. Diese Rückforderung war binnen vier Monaten nach Bekanntgabe des Beschlusses, d. h. bis spätestens 3. September 2013, vorzunehmen. Im Lauf des Sommers 2013 erhoben Frankreich und die SNCM beim Gericht Klagen auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses3. Diese Klagen sind noch beim Gericht anhängig. Nach Ansicht der Kommission ist Frankreich verpflichtet, dem Beschluss vom 2. Mai 2013 in der vorgesehenen Frist nachzukommen, da die beim Gericht erhobenen Klagen keine aufschiebende Wirkung hätten. Da Frankreich erstens nicht die Maßnahmen ergriffen habe, die erforderlich seien, um die für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärten staatlichen Beihilfen innerhalb der vorgeschriebenen Frist von der SNCM zurückzufordern, zweitens nicht die Zahlung der betreffenden Beihilfen ab dem Tag der Bekanntgabe des Beschlusses, dem 3. Mai 2013, eingestellt habe und drittens die Kommission nicht binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe des Beschlusses über die Maßnahmen, die es getroffen habe, um dem Beschluss nachzukommen, unterrichtet habe, hat die Kommission beim Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage gegen Frankreich erhoben. Frankreich macht insbesondere geltend, dass es ihm unmöglich gewesen sei, den streitigen Beschluss durchzuführen, da die SNCM sich andernfalls einer gerichtlichen Liquidation hätte unterziehen müssen, was schwerwiegende Störungen der öffentlichen Ordnung nach sich gezogen hätte (wie in der Vergangenheit mit Streiks, einer Blockade des Hafens von Marseille und der Gefahr von Schwierigkeiten bei der Versorgung der Insel mit Waren des Grundbedarfs) und daher die Gefahr einer Unterbrechung der territorialen Kontinuität mit Korsika heraufbeschworen hätte. Zudem würde ein Wegfall der SNCM den Abschluss eines neuen Vertrags über die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen mit einem anderen Wirtschaftsteilnehmer erfordern, der nicht notwendigerweise und sofort über die materiellen und personellen Mittel verfüge, um die Erfordernisse der Auferlegung dieser Verpflichtungen zu erfüllen, was auch eine Gefahr im Hinblick auf die territoriale Kontinuität darstellen könnte. Mit Urteil vom heutigen Tag gibt der Gerichtshof der Vertragsverletzungsklage der Kommission statt. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass Frankreich bei Ablauf der von der Kommission gesetzten Frist (3. September 2013) nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um die rechtswidrigen Beihilfen zurückzufordern. Erst am 7. und am 19. November 2014 hat Frankreich zwei Einziehungsanordnungen gegenüber der SNCM in Höhe eines Betrags von ungefähr 198 Mio. Euro (weniger als die von der Kommission geforderten 220 Mio. Euro) erlassen, ohne dass eine Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfen tatsächlich stattgefunden hätte. Der Erlass von Vollstreckungstiteln allein kann nicht als Rückforderung rechtswidriger Beihilfen gelten. Außerdem ist der Gerichtshof der Auffassung, dass es Frankreich nicht absolut unmöglich war, die Beihilfen zurückzufordern. Was das Argument bezüglich der Störungen der öffentlichen Ordnung betrifft, hat Frankreich nicht dargetan, dass es solche Störungen gegebenenfalls mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht bewältigen könnte. Selbst wenn man annimmt, dass aufgrund rechtswidriger Handlungen eine dauerhafte Blockade der Fährverbindungen mit Korsika eintritt, hat Frankreich nichts dafür vorgelegt, dass die Anbindung von Korsika an das Festland durch andere Schifffahrtslinien oder auf dem Luftweg unmöglich wäre, so dass die Versorgung dieser Insel mit Waren des Grundbedarfs nicht mehr gewährleistet werden könnte. Im Hinblick auf die möglichen Probleme, die sich aus dem Abschluss eines neuen Vertrags über die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen ergeben, stellt der Gerichtshof fest, dass Frankreich keine Umstände dargetan hat, die den Schluss erlauben, dass ein Rückgang des Verkehrs bei den Fährverbindungen zwischen Marseille und Korsika Folgen in einem Ausmaß hätte, dass eine Durchführung des streitigen Beschlusses absolut unmöglich wäre. Schließlich stellt der Gerichtshof zum einen fest, dass Frankreich die Zahlung der rechtswidrigen Beihilfen nicht am 3. Mai 2013, sondern erst am 23. Juli 2013 eingestellt hat, und zum anderen, dass Frankreich es unterlassen hat, die Kommission über die Maßnahmen zu informieren, die es binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe des streitigen Beschlusses getroffen hat. -------------- HINWEIS: Eine Vertragsverletzungsklage, die sich gegen einen Mitgliedstaat richtet, der gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen hat, kann von der Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat erhoben werden. Stellt der Gerichtshof die Vertragsverletzung fest, hat der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil unverzüglich nachzukommen. Ist die Kommission der Auffassung, dass der Mitgliedstaat dem Urteil nicht nachgekommen ist, kann sie erneut klagen und finanzielle Sanktionen beantragen. Hat ein Mitgliedstaat der Kommission die Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie nicht mitgeteilt, kann der Gerichtshof auf Vorschlag der Kommission jedoch bereits mit dem ersten Urteil Sanktionen verhängen. -------------- 1Beschluss 2013/435/EU der Kommission vom 2. Mai 2013 über die staatliche Beihilfe SA.22843 (2012/C) (ex 2012/NN) Frankreichs zugunsten der Société Nationale Corse Méditerranée und der Compagnie Méridionale de Navigation. 2Zur Erinnerung: Andere von Frankreich zugunsten der SNCM gewährte Maßnahmen waren Gegenstand eines Urteils des Gerichts vom 11. September 2012 (Rechtssache T-565/08, vgl. Pressemitteilung Nr. 115/12) und eines Urteils des Gerichtshofs vom 4. September 2014 (Rechtssachen C-533/12 und C-536/12, vgl. Pressemitteilung Nr. 115/14). Mit diesen Urteilen wurde der Beschluss der Kommission, die aus verschiedenen Gründen zu dem Schluss gelangt war, dass die gewährten Beihilfen nicht von SNCM zurückzufordern seien, teilweise für nichtig erklärt. Noch vor dem Erlass des Urteils des Gerichtshofs hat die Kommission in einem neuen Beschluss vom 20. November 2013 die Rückforderung der Beträge angeordnet, um die es in den Urteilen des Gerichts und des Gerichtshofs ging (dieser Beschluss betrifft ebenfalls einen Betrag von ungefähr 220 Mio. Euro). Die SNCM erhob Klage beim Gericht, um den neuen Beschluss vom 20. November 2013 anzufechten (Rechtssache T 1/15, noch beim Gericht anhängig). 3Es handelt sich um die Rechtssachen T-366/13 (Frankreich/Kommission) und T-454/13 (SNCM/Kommission). ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? 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