Pressemitteilung
C-566/10 P;
Verkündet am:
27.11.2012
EuGH Europäischer Gerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt! Die Veröffentlichung der EU-Stellenausschreibungen in drei Sprachen und die Verpflichtung, die Auswahlprüfungen in einer dieser Sprachen zu absolvieren, stellen eine Diskriminierung aufgrund der Sprache dar Leitsatz des Gerichts: Die Beschränkung der Wahl der zweiten Sprache eines Auswahlverfahrens muss auf klaren, objektiven und vorhersehbaren Kriterien beruhen Zum Urteilstext (Englisch!) Zur englischen Version der Presserklärung Im Februar und im Mai 2007 veröffentlichte das EPSO1, die mit der Durchführung der Einstellungsverfahren für Beamte der Union betraute Stelle, Bekanntmachungen von Auswahlverfahren für Beamte der Funktionsgruppen Administration und Assistenz im Bereich Information, Kommunikation und Medien2. Diese Stellenausschreibungen wurden im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl.) in Deutsch, Englisch und Französisch veröffentlicht. Als Zulassungsbedingung und für den Ablauf der Zulassungstests wurde eine gründliche Kenntnis einer EU-Amtssprache als Hauptsprache und eine ausreichende Kenntnis der deutschen, der englischen oder der französischen Sprache als zweite Sprache, die nicht mit der Hauptsprache identisch sein durfte, verlangt. Außerdem war vorgesehen, dass die Einladungen, der Schriftverkehr zwischen dem EPSO und den Bewerbern und die Zulassungstests ausschließlich in deutscher, englischer oder französischer Sprache erfolgen. Dasselbe galt für die Zulassung zu den schriftlichen Prüfungen und für deren Ablauf3. Im Juni und im Juli 2007 veröffentlichte das EPSO im ABl. – in allen Sprachfassungen – eine Aktualisierung und eine Änderung, in denen auf die vollständige Fassung der bereits in Deutsch, Englisch und Französisch veröffentlichten Stellenausschreibungen verwiesen und eine neue Anmeldefrist gesetzt wurde. Italien erhob beim Gericht Klagen auf Nichtigerklärung der Stellenausschreibungen4. Es beanstandete im Wesentlichen das Fehlen einer vollständigen Veröffentlichung der Stellenausschreibungen in den anderen Amtssprachen außer Deutsch, Englisch und Französisch und die willkürliche Beschränkung der Wahl der zweiten Sprache für die Teilnahme an den Auswahlverfahren, für die Kontakte mit dem EPSO und für den Ablauf der Prüfungen auf nur drei Sprachen. Das Gericht wies diese Klagen ab5; Italien legte daher beim Gerichtshof ein Rechtsmittel ein und machte geltend, das Gericht habe dadurch, dass es die Gültigkeit der Stellenausschreibungen bestätigt habe, einen Rechtsfehler begangen. In seinem Urteil von heute befasst sich der Gerichtshof als Erstes mit dem Fehlen der vollständigen Veröffentlichung der Stellenausschreibungen in allen Amtssprachen. Er weist darauf hin, dass nach der Regelung der Sprachenfrage der Europäischen Union die derzeitigen 23 Sprachen der Union Amts- und Arbeitssprachen der Organe der Union sind6, dass das Amtsblatt der Europäischen Union in allen Amtssprachen erscheinen muss und dass allgemeine Stellenausschreibungen nach dem Beamtenstatut im ABl. zu veröffentlichen sind7. Aus diesen Regeln folgt insgesamt, dass die streitigen Stellenausschreibungen vollständig in allen Amtssprachen hätten veröffentlicht werden müssen. Da die genannten Bestimmungen keine Ausnahme vorsehen, hat das Gericht mit seiner Entscheidung, dass die spätere Veröffentlichung der Aktualisierung und der Änderung das Fehlen der vollständigen Veröffentlichung geheilt habe, einen Rechtsfehler begangen. Davon ausgehend, dass die Unionsbürger das ABl. in ihrer Muttersprache lesen und diese einer der Amtssprachen der Union ist, hätte ein potenzieller Bewerber, dessen Muttersprache nicht eine der drei Sprachen ist, in der die Stellenausschreibungen vollständig veröffentlicht wurden, sich das ABl. jedenfalls in einer dieser Sprachen beschaffen und in dieser Sprache lesen müssen, bevor er über seine Teilnahme an einem der Auswahlverfahren entschied. Ein solcher Bewerber war mithin gegenüber einem Bewerber mit Englisch, Französisch oder Deutsch als Muttersprache sowohl hinsichtlich des Verstehens der Ausschreibungen als auch hinsichtlich der Frist zur Vorbereitung und Absendung einer Anmeldung benachteiligt. Als Zweites prüft der Gerichtshof die Beschränkung der Wahl der zweiten Sprache für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren. Er stellt fest, dass eine solche Beschränkung durch das dienstliche Interesse gerechtfertigt sein kann. Die Regeln, mit denen die Wahl der zweiten Sprache eingeschränkt wird, müssen klare, objektive und vorhersehbare Kriterien vorsehen, so dass die Bewerber rechtzeitig im Voraus wissen, welche Anforderungen an die Sprachkenntnisse gestellt werden, und sich optimal auf die Auswahlverfahren vorbereiten können. Die Organe, die die Stellenausschreibungen betreffen, haben aber nie interne Regeln erlassen, mit denen sie festgelegt hätten, wie die Regelung der Sprachenfrage bei ihnen im Einzelnen anzuwenden ist. Die Kommission hat auch nicht dargetan, dass Rechtsakte wie Mitteilungen existierten, in denen die Kriterien für die Beschränkung der Wahl einer Sprache als zweite Sprache für die Teilnahme an den Auswahlverfahren festgelegt sind. Schließlich enthielten die streitigen Stellenausschreibungen keine Begründung für die Auswahl der drei ausgewählten Sprachen. Damit sich die Organe die besten Bewerber (in Bezug auf Befähigung, Leistung und Integrität)sichern können, kann es besser sein, wenn diese ihre Auswahlprüfungen in ihrer Muttersprache oder in der zweiten Sprache, die sie am Besten beherrschen, absolvieren dürfen. Im Übrigen spielen die Sprachkenntnisse eine wesentliche Rolle bei der Karriere der Beamten, und die Organe können die Anstrengungen überprüfen, die diese unternehmen, um sie anzuwenden oder möglicherweise weitere zu erwerben. Die Organe haben also einerseits die Begrenzung der Sprachen des Auswahlverfahrens und andererseits das Ziel, die Kandidaten zu ermitteln, die in Bezug auf ihre Befähigung höchsten Ansprüchen genügen, und die Möglichkeiten für die eingestellten Beamten, die für das dienstliche Interesse erforderlichen Sprachen zu erlernen, zum Ausgleich zu bringen. Folglich hebt der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf. Er entscheidet selbst endgültig über den Rechtsstreit und erklärt die allgemeinen Stellenausschreibungen für nichtig. Allerdings werden die Ergebnisse der Auswahlverfahren, um das berechtigte Vertrauen der ausgewählten Bewerber zu schützen, nicht in Frage gestellt. --------------------- HINWEIS: Beim Gerichtshof kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel gegen ein Urteil oder einen Beschluss des Gerichts eingelegt werden. Das Rechtsmittel hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst entscheiden. Andernfalls verweist er die Rechtssache an das Gericht zurück, das an die Rechtsmittelentscheidung des Gerichtshofs gebunden ist. ----------------------- 1 European Personnel Selection Office, errichtet durch den Beschluss 2002/620/EG des Europäischen Parlaments, des Rates, der Kommission, des Gerichtshofs, des Rechnungshofs, des Wirtschafts- und Sozialausschusses, des Ausschusses der Regionen und des Europäischen Bürgerbeauftragten vom 25. Juli 2002 (ABl. L 197, S. 53). 2Es handelt sich um die Auswahlverfahren EPSO/AD/94/07, EPSO/AST/37 und EPSO/AD/95/07. 3Verordnung (EWG) Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958, Nr. 17, S. 385). 4 Jede Klage aus dem von dem Beschluss 2002/620/EG geregelten Bereich ist gegen die Europäische Kommission zu richten. 5Urteile des Gerichts vom 13. September 2010, Italien/Kommission (T-166/07 und T-285/07). 6Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch und Ungarisch. 7 Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 723/2004 des Rates vom 22. März 2004 (ABl. L 124, S. 1) geänderten Fassung. ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? 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