Pressemitteilung
C-224/12 P;
Verkündet am:
03.04.2014
EuGH Europäischer Gerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt! Der Gerichtshof bestätigt die teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission über die Beihilfen, die ING aufgrund der Finanzkrise gewährt wurden Zum Urteilstext (Englisch!) Zur englischen Version der Presserklärung Die ING Groep NV ist ein Finanzinstitut mit Gesellschaftssitz in Amsterdam (Niederlande). Wegen der weltweiten Finanzkrise, die im Jahr 2007 begann, erließen die Niederlande Beihilfemaßnahmen zugunsten von ING. In diesem Zusammenhang wurde das Kapital von ING im Wege der Schaffung von 1 Mrd. Wertpapieren erhöht. Diese Wertpapiere, die weder ein Stimmrecht noch einen Dividendenanspruch gewährten und in vollem Umfang von den Niederlanden zum Ausgabepreis von 10 Euro pro Wertpapier gezeichnet wurden, ermöglichten ING, ihr Grundkapital um 10 Mrd. Euro zu erhöhen. Als zweite Beihilfemaßnahme wurde ein Cashflow-Swap bezüglich wertgeminderter Aktiva vorgenommen, der ein Portfolio betraf, das durch in den USA gewährte Hypothekendarlehen besichert war und dessen Wert beträchtlich gesunken war. In den Jahren 2008 und 2009 wurden diese Beihilfemaßnahmen vorläufig von der Kommission mit der Auflage genehmigt, dass die niederländischen Behörden einen Umstrukturierungsplan vorlegen. Am 12. Mai 2009 wurde dieser Plan der Kommission übermittelt. Nach mehrmonatigen Gesprächen mit der Kommission wurde am 22. Oktober 2009 ein revidierter Umstrukturierungsplan vorgelegt, der u. a. eine Änderung der Rückzahlungsbedingungen für die Kapitalzuführung enthielt. Am 18. November 2009 erließ die Kommission die streitige Entscheidung1. Die Kommission erklärte den Umstrukturierungsplan zwar für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar, vertrat aber die Auffassung, dass die Änderung der Rückzahlungsbedingungen eine „zusätzliche Beihilfe in Höhe von 2 Mrd. Euro“ nach sich ziehe. Am 28. Januar 2010 erhoben die Niederlande und ING Klage beim Gericht. In seinem Urteil vom 2. März 20122 hat das Gericht die streitige Entscheidung teilweise für nichtig erklärt und u. a. die Auffassung vertreten, dass die Kommission verpflichtet gewesen sei, die wirtschaftliche Vernünftigkeit der Änderung der Rückzahlungsbedingungen anhand des Kriteriums des privaten Kapitalgebers zu prüfen. Dieses Kriterium setzt zur Bestimmung des gewährten Vorteils im Fall einer Kapitalzuführung voraus, dass der Unterschied zwischen den Bedingungen, zu denen der Staat die Kapitalzuführung gewährt hat, und den Bedingungen, zu denen ein privater Kapitalgeber dies getan hätte, berücksichtigt wird. Am 11. Mai 2012 legte die Kommission beim Gerichtshof ein Rechtsmittel ein3. In seinem Urteil vom heutigen Tag weist der Gerichtshof das Rechtsmittel in vollem Umfang zurück. Die Kommission weist darauf hin, dass es nur dann angemessen sei, das Kriterium des privaten Kapitalgebers auf das Verhalten der Behörden anzuwenden, wenn sich Letztere in einer Situation befänden, die mit derjenigen vergleichbar sei, in der sich private Wirtschaftsteilnehmer befinden könnten. Ein privater Kapitalgeber hätte sich aber keinesfalls in einer Situation befinden können, in der er in der Lage gewesen wäre, ING eine staatliche Beihilfe zu gewähren. Der Gerichtshof weist dieses Vorbringen zurück und führt aus, dass das Kriterium des privaten Kapitalgebers zu den Faktoren gehört, die die Kommission berücksichtigen muss, um das Vorliegen einer Beihilfe festzustellen. Wenn sich daher erkennen lässt, dass das Kriterium des privaten Kapitalgebers anwendbar sein kann, hat die Kommission den betroffenen Mitgliedstaat um alle einschlägigen Informationen zu ersuchen, um überprüfen zu können, ob die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit und Anwendung dieses Kriteriums erfüllt sind. Der Gerichtshof erläutert in diesem Zusammenhang, dass ausschlaggebend ist, ob die Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung der Kapitalzuführung nach dem Kriterium der wirtschaftlichen Vernünftigkeit erfolgt, so dass auch ein privater Kapitalgeber in der Lage sein könnte, eine solche Änderung zu akzeptieren, insbesondere indem die Aussichten erhöht werden, die Rückzahlung dieser Kapitalzuführung zu erlangen. Die Kommission macht ferner geltend, das Gericht sei, selbst wenn sie die geänderten Rückzahlungsbedingungen zu Unrecht als staatliche Beihilfe angesehen oder den Beihilfebetrag in der streitigen Entscheidung falsch beziffert haben sollte, nicht berechtigt gewesen, den Teil der Entscheidung, der sich darauf beziehe, insgesamt für nichtig zu erklären. Ihrer Ansicht nach verstößt diese Nichtigerklärung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die streitige Entscheidung nicht zwischen den verschiedenen Elementen der Beihilfe unterscheide und die Einstufung der Kapitalzuführung und der Entlastungsmaßnahme für wertgeminderte Aktiva als staatliche Beihilfe vom Gericht nicht beanstandet worden sei. Der Gerichtshof weist auch dieses Vorbringen zurück. Das Gericht hat nämlich festgestellt, dass sich die in der streitigen Entscheidung genannte Beihilfe von 17 Mrd. Euro wie folgt zusammensetze: 1) aus dem Betrag der Beihilfe der Kapitalzuführung (10 Mrd. Euro), 2) aus dem Betrag der Beihilfe der Änderung der Rückzahlungsbedingungen (etwa 2 Mrd. Euro) und 3) aus dem Betrag der Beihilfe der Entlastungsmaßnahme für wertgeminderte Aktiva (5 Mrd. Euro). Das Gericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass die zusätzliche Beihilfe, d. h. jene Beihilfe, die der Änderung der Rückzahlungsbedingungen entspricht, ein konstitutives Element der „Umstrukturierungsbeihilfe“ darstellt. Ebenso weist der Gerichtshof alle anderen Rechtsmittelgründe der Kommission zurück, insbesondere die Rechtsmittelgründe hinsichtlich der Sachverhaltswürdigung des Gerichts, das Vorbringen, dass die Kommission nicht in der Lage gewesen sei, die von den Niederlanden und ING angebotenen Verpflichtungszusagen zu beeinflussen, und das Vorbringen, dass das Gericht den Gegenstand der bei ihm erhobenen Klagen rechtswidrig erweitert habe. -------------------- HINWEIS: Beim Gerichtshof kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel gegen ein Urteil oder einen Beschluss des Gerichts eingelegt werden. Das Rechtsmittel hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst entscheiden. Andernfalls verweist er die Rechtssache an das Gericht zurück, das an die Rechtsmittelentscheidung des Gerichtshofs gebunden ist. -------------------- 1Entscheidung 2010/608/EG der Kommission vom 18. November 2009 über die staatliche Beihilfe C 10/09 (ex N 138/09) der Niederlande – Stützungsfazilität für illiquide Vermögenswerte zugunsten von ING und Umstrukturierungsplan (ABl. 2010, L 274, S. 139). 2 Urteil des Gerichts vom 2. März 2012, Königreich der Niederlande/Kommission (Rechtssache T-29/10) und ING Groep NV/Kommission (Rechtssache T-33/10) (vgl. auch Pressemitteilung Nr. 19/12). 3Die Kommission nahm das Urteil zur Kenntnis und erließ am 11. Mai 2012 den Beschluss C(2012) 3150 final – Staatliche Beihilfe SA.28855 (N 373/2009) (ex C/10/2009 und ex N528/2009) – Niederlande – ING – Umstrukturierungsbeihilfe. In diesem Beschluss prüfte die Kommission die Änderung der Bedingungen für die Rückzahlung der Kapitalzuführung anhand des Kriteriums des privaten Kapitalgebers und gelangte zum Ergebnis, dass ein marktwirtschaftlich handelnder privater Kapitalgeber diese neuen Bedingungen nicht akzeptiert hätte. Die Kommission entschied daher, dass diese Änderung eine staatliche Beihilfe darstelle, die allerdings im Hinblick auf die von den Niederlanden abgegebenen Verpflichtungszusagen mit dem Binnenmarkt vereinbar sei. Mit zwei am 23. Juli 2012 beim Gericht erhobenen Klagen (Rechtssachen T-325/12 und T-332/12) beantragten die Niederlande und ING die Nichtigerklärung des neuen Beschlusses. Die Klagen wurden jedoch von diesen beiden Parteien zurückgenommen. Somit ist der neue Beschluss bestandskräftig geworden. ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |