Pressemitteilung
C-545/10, C-627/10 und C-412/11;
Verkündet am:
11.07.2013
EuGH Europäischer Gerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt! Die Tschechische Republik und Slowenien haben gegen ihre unionsrechtlichen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahnverkehrs verstoßen Leitsatz des Gerichts: Dagegen weist der Gerichtshof die Klage der Kommission gegen Luxemburg ab Zum Urteilstext (Englisch!) Zur englischen Version der Presserklärung Die vorliegenden Rechtssachen gehören zu einer Reihe von Vertragsverletzungsklagen1, die die Kommission gegen mehrere Mitgliedstaaten wegen Nichterfüllung ihrer Verpflichtungen aufgrund der Richtlinien zur Regelung der Funktionsweise des Eisenbahnsektors2 erhoben hat. Der Gerichtshof hat nunmehr über die Klagen gegen die Tschechische Republik, Slowenien und Luxemburg entschieden. C-545/10, Kommission/Tschechische Republik Der Gerichtshof weist als Erstes darauf hin, dass der Betreiber der Infrastruktur, damit das Ziel der Wahrung der Unabhängigkeit seiner Geschäftsführung gewährleistet wird, in dem von den Mitgliedstaaten definierten Rahmen der Entgelterhebung über einen gewissen Spielraum bei der Berechnung der Höhe der Entgelte verfügen muss, um hiervon als Geschäftsführungsinstrument Gebrauch machen zu können. Die Festsetzung eines Höchstbetrags für die Nutzung der Eisenbahnfahrwege durch jährliche Verfügung des Finanzministeriums hat indes zur Folge, dass der Spielraum des Betreibers der Infrastruktur in einem Umfang eingeschränkt wird, der nicht mit den Zielen der Richtlinie 2001/14 vereinbar ist. Nach dieser Richtlinie muss der Betreiber der Infrastruktur nämlich auf der Grundlage der langfristigen Kosten bestimmter Investitionsvorhaben höhere Entgelte festlegen oder beibehalten können. Der Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die erste Rüge der Kommission begründet ist. Als Zweites prüft der Gerichtshof im Zusammenhang mit der Rüge der Kommission, dass Anreize für den Betreiber fehlten, die mit der Fahrwegbereitstellung verbundenen Kosten und die Zugangsentgelte zu senken, die von der Tschechischen Republik geltend gemachte staatliche Finanzierung des Betreibers der Infrastruktur. Auch wenn sie geeignet ist, zu einer Senkung der Kosten der Fahrwegbereitstellung und der Höhe der Zugangsentgelte zu führen, hat diese Finanzierung als solche keine Anreizwirkung gegenüber dem Betreiber, da sie keine Verpflichtung seinerseits mit sich bringt. Daher befindet der Gerichtshof, dass diese zweite Rüge ebenfalls begründet ist. Als Drittes prüft der Gerichtshof die Rüge der Kommission, dass das Entgelt für das Mindestzugangspaket und den Schienenzugang zu Serviceeinrichtungen nicht in Höhe der Kosten festgelegt sei, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfielen. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Kommission keine konkreten Beispiele angegeben hat, die zeigten, dass die Zugangsentgelte von den tschechischen Behörden in Verkennung der Erfordernisse der Richtlinie festgesetzt würden. Folglich erklärt der Gerichtshof diese Rüge für unbegründet. Als Viertes macht die Kommission geltend, dass die Tschechische Republik gegen ihre unionsrechtlichen Verpflichtungen verstoßen habe, da sie es unterlassen habe, eine leistungsabhängige Entgeltregelung zu schaffen, die den Eisenbahnunternehmen und dem Betreiber der Infrastruktur Anreize zur Minimierung von Störungen und zur Erhöhung der Leistung des Schienennetzes biete. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass bei den von der Tschechischen Republik angeführten gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie ein kohärentes und transparentes Ganzes bilden, das als „leistungsabhängige Entgeltregelung“ eingestuft werden kann, und erklärt daher diese Rüge für begründet. Als Fünftes macht die Kommission geltend, dass die Entscheidungen des Eisenbahnamts nach tschechischem Recht mit einem Rechtsbehelf beim Verkehrsministerium angefochten werden könnten. Ein solcher vorheriger Verwaltungsrechtsbehelf verstoße gegen die Richtlinie 2001/14. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass der Richtlinie zu entnehmen ist, dass die von der Regulierungsstelle getroffenen Verwaltungsentscheidungen ausschließlich einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen können, und dass die tschechische Regelung somit gegen das Unionsrecht verstößt. C-627/10, Kommission/Slowenien Um einen gerechten und nichtdiskriminierenden Zugang zur Infrastruktur sicherzustellen, sieht die Richtlinie 91/440 vor, dass die „wesentlichen Funktionen“ an Stellen oder Unternehmen übertragen werden müssen, die selbst keine Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen. Zu diesen Funktionen gehört u. a. die Zuweisung von Zugtrassen an Eisenbahnbeförderungsunternehmen, d. h. die Zuweisung von Zeitnischen für den Zugverkehr in einem Teil des Eisenbahnnetzes. In diesem Zusammenhang wirft die Kommission Slowenien zunächst vor, es habe gegen seine Verpflichtungen verstoßen, da der Betreiber der slowenischen Infrastruktur, der selbst Eisenbahnverkehrsleistungen erbringe, an der Erstellung des Netzfahrplans und damit an der Zuweisung von Trassen oder Fahrwegkapazitäten mitwirke. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass nach dem Wortlaut der Richtlinie 91/440 der Erlass von Entscheidungen über die Trassenzuweisung, einschließlich sowohl der Bestimmung als auch der Beurteilung der Verfügbarkeit, als wesentliche Funktionen anzusehen sind. Der Gerichtshof leitet daraus ab, dass einem Eisenbahnunternehmen nicht sämtliche vorbereitenden Arbeiten zum Erlass solcher Entscheidungen übertragen werden können. Da dies in Slowenien der Fall ist, erklärt der Gerichtshof die Rüge der Kommission für begründet. Der Gerichtshof legt dagegen dar, dass die Verwaltung des Verkehrs nicht als wesentliche Funktion angesehen werden kann und sie daher einem Betreiber der Infrastruktur, der, wie in Slowenien, auch ein Eisenbahnunternehmen ist, übertragen werden kann. Sodann macht die Kommission geltend, dass Slowenien weder Maßnahmen vorgesehen habe, mit denen dem Betreiber der Infrastruktur Anreize gegeben würden, die mit der Fahrwegbereitstellung verbundenen Kosten und die Höhe der Zugangsentgelte zu senken, noch eine den unionsrechtlichen Anforderungen entsprechende leistungsabhängige Entgeltregelung für die Eisenbahnunternehmen und den Betreiber der Infrastruktur eingeführt habe. Schließlich erhebt die Kommission eine Rüge bezüglich der Berechnung des Mindestentgelts für den Zugang zum Schienennetz. Hierzu weist der Gerichtshof darauf hin, dass das Vorbringen Sloweniens ausschließlich auf Änderungen des innerstaatlichen Rechts gestützt ist, die nach Ablauf der Frist erfolgt sind, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme, die die Kommission im Jahr 2009 an Slowenien gerichtet hat, festgesetzt worden war. Solche Änderungen können vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden, und er erklärt daher die Rügen der Kommission für begründet. C-412/11, Kommission/Luxemburg Die Kommission wirft Luxemburg vor, dadurch gegen seine Verpflichtungen verstoßen zu haben, dass das Eisenbahnunternehmen Chemins de fer luxembourgeois (CFL, luxemburgische Eisenbahngesellschaft) mit bestimmten wesentlichen Funktionen der Trassenzuweisung bei Verkehrsstörungen befasst bleibe. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die im Fall von Verkehrsstörungen oder Gefahren zur Wiederherstellung normaler Verkehrsbedingungen erforderlichen Maßnahmen, einschließlich der Streichung von Zugtrassen, zur Verwaltung des Verkehrs gehören. Diese unterliegt nicht dem Unabhängigkeitserfordernis, so dass einem Betreiber der Infrastruktur, der auch gleichzeitig Eisenbahnunternehmen ist, derartige Funktionen übertragen werden können. Gleichwohl stellt der Gerichtshof klar, dass, auch wenn die Streichung von Trassen im Fall von Verkehrsstörungen nicht als wesentliche Funktion angesehen wird, ihre Neuzuweisung als Teil der wesentlichen Funktionen angesehen werden muss, die nur von einem unabhängigen Betreiber oder von einer Zuweisungsstelle ausgeübt werden können. Da nach der luxemburgischen Regelung eine neue Trassenzuweisung von der Zuweisungsstelle, nämlich der Administration des Chemins de Fer (ACF, Eisenbahnverwaltung) vorgenommen wird, weist der Gerichtshof die Klage der Kommission ab. ------------ HINWEIS: Eine Vertragsverletzungsklage, die sich gegen einen Mitgliedstaat richtet, der gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen hat, kann von der Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat erhoben werden. Stellt der Gerichtshof die Vertragsverletzung fest, hat der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil unverzüglich nachzukommen. Ist die Kommission der Auffassung, dass der Mitgliedstaat dem Urteil nicht nachgekommen ist, kann sie erneut klagen und finanzielle Sanktionen beantragen. Hat ein Mitgliedstaat der Kommission die Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie nicht mitgeteilt, kann der Gerichtshof auf Vorschlag der Kommission jedoch bereits mit dem ersten Urteil Sanktionen verhängen. ------------- 1Es handelt sich um die Rechtssachen C-473/10, Kommission/Ungarn, C-483/10, Kommission/Spanien, C-555/10, Kommission/Österreich, C-556/10, Kommission/Deutschland (Urteil des Gerichtshofs vom 28. Februar 2013, vgl. Pressemitteilung Nr. 20/13), C-512/10, Kommission/Polen, C-528/10, Kommission/Griechenland, C-545/10, Kommission/Tschechische Republik, C-557/10, Kommission/Portugal, C-625/10, Kommission/Frankreich (Urteil des Gerichtshofs vom 18. April 2013, vgl. Pressemitteilung Nr. 49/13), C-627/10, Kommission/Slowenien, C-369/11, Kommission/Italien, und C-412/11, Kommission/Luxemburg. 2Richtlinie 91/440/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft (ABl. L 237, S. 25) in der durch die Richtlinien 2004/51/EG und 2007/58/EG geänderten Fassung und Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur (ABl. L 75, S. 29) in der durch die Richtlinien 2004/49/EG und 2007/58/EG geänderten Fassung. ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |