Mo, 21. April 2025, 00:17    |  Login:  User Passwort    Anmelden    Passwort vergessen
Arbeitsplattform NEWS URTEILE GESETZE/VO KOMMENTARE VIDEOS SITEINFO/IMPRESSUM NEWSLETTER
Achtung! Die Seite wird derzeit nicht aktualisiert. Die Inhalte sind im wesentlichen auf dem Stand 31.12.2011
Pressemitteilung
T-301/12;
Verkündet am: 
 04.07.2013
EuGH Europäischer Gerichtshof
 

Rechtskräftig: unbekannt!
Das Gericht erklärt den Beschluss der Kommission, mit dem die Zulassung von Orphacol abgelehnt wurde, für nichtig
Leitsatz des Gerichts:
Die Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels für seltene Leiden kann erteilt werden, weil eine allgemeine medizinische Verwendung seit mehr als zehn Jahren vorliegt
Zum Urteilstext (Englisch!)
Zur englischen Version der Presserklärung

Das Recht der Europäischen Union1 sieht vor, dass jedem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen (Zulassung) eines Humanarzneimittels die Ergebnisse der vorklinischen und klinischen Versuche des Arzneimittels beizufügen sind. Davon abweichend gilt jedoch ein vereinfachtes Verfahren u. a. für Arzneimittel für seltene Leiden (d. h. für Arzneimittel zur Behandlung von sehr seltenen und schweren Erkrankungen). Dann braucht der Antragsteller nicht die Ergebnisse der vorklinischen und klinischen Versuche vorzulegen, wenn er nachweisen kann,dass die Wirkstoffe des Arzneimittels für mindestens zehn Jahre in der Union allgemein medizinisch verwendet wurden und eine anerkannte Wirksamkeit sowie einen annehmbaren Grad an Sicherheit aufweisen. In diesem Fall werden die Ergebnisse der Versuche durch einschlägige wissenschaftliche Dokumentation ersetzt.

Die Gesellschaft Laboratoires CTRS (Cell Therapies Research & Services) hat das Arzneimittel Orphacol entwickelt, dessen Wirkstoff Cholsäure ist. Dieses Arzneimittel für seltene Leiden ist zur Behandlung seltener, aber sehr ernster Lebererkrankungen bestimmt. Werden diese Erkrankungen in den ersten Lebenswochen oder -monaten nicht angemessen behandelt, können sie zum Tod führen.

Am 30. Oktober 2009 stellte CTRS bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) einen Antrag auf Zulassung dieses Arzneimittels.

Der Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP), der zur EMA gehört, gab im Dezember 2010 ein positives Gutachten und im April 2011 ein überarbeitetes, ebenfalls positives Gutachten ab und empfahl die Erteilung einer Zulassung. Im Juli 2011 legte die Kommission dem Ständigen Ausschuss für Humanarzneimittel (im Folgenden: Ständiger Ausschuss) jedoch den Entwurf eines Beschlusses vor, wonach CTRS eine Zulassung für Orphacol versagt werden sollte. Im Oktober 2011 gab der Ständige Ausschuss eine ablehnende Stellungnahme zu dem die Zulassung versagenden Beschlussentwurf der Kommission ab. Im selben Monat übermittelte die Kommission dem Berufungsausschuss den die Zulassung versagenden Beschlussentwurf. Im November 2011 gab auch der Berufungsausschuss zu dem die Zulassung versagenden Beschlussentwurf der Kommission eine ablehnende Stellungnahme ab.

Am 12. Januar 2012 erhob CTRS Klage mit dem Antrag, eine Untätigkeit der Kommission festzustellen, da diese es rechtswidrig unterlassen habe, einen endgültigen Beschluss hinsichtlich des Antrags auf Erteilung der Zulassung für das Arzneimittel Orphacol zu erlassen, hilfsweise, den in einem Schreiben der Kommission vom 5. Dezember 2011 enthaltenen Beschluss, ihr diese Zulassung nicht zu erteilen, für nichtig zu erklären.

Am 4. Juli 20122 entschied das Gericht der Europäischen Union, dass diese Untätigkeitsklage unzulässig ist und dass, da die Kommission mit einem die Zulassung ablehnenden Beschluss vom 25. Mai 20123 den die Zulassung versagenden Beschluss, der im Schreiben vom 5. Dezember 2011 enthalten sein soll, ersetzt hat, der Antrag auf Nichtigerklärung des letztgenannten Beschlusses erledigt ist.

Am 10. Juli 2012 hat CTRS das Gericht erneut angerufen und Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses vom 25. Mai 2012 erhoben. Das Gericht hat beschlossen, diese Rechtssache vorrangig zu behandeln.

Mit seinem heutigen Urteil erklärt das Gericht den Beschluss der Kommission vom 25. Mai 2012, mit dem die Zulassung des Arzneimittels Orphacol abgelehnt wurde, für nichtig.

Das Gericht weist zunächst darauf hin, dass Cholsäure in Frankreich von 1993 bis Oktober 2007 auf ärztliche Verschreibung in Form von Krankenhauszubereitungen, die nach den Angaben des Arzneibuchs und in Übereinstimmung mit den bewährten Verfahren nach den französischen Rechtsvorschriften individuell hergestellt wurden, zur Behandlung von Patienten verwendet wurde. Die Zubereitungen wurden daher unter strenger medizinischer Kontrolle in einer Gesundheits- oder pharmazeutischen Einrichtung verschrieben. Seitdem sind Cholsäurekapseln in Frankreich unter dem Namen Orphacol zugelassen. Das Gericht stellt weiter fest, dass diese Krankenhauszubereitungen „besondere Bedarfsfälle“ im Sinne des Unionsrechts4 befriedigen sollten, d. h., dass sie für aus medizinischen Gründen gerechtfertigte Einzelfälle bestimmt und erforderlich waren, um den Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden. CTRS war daher nicht verpflichtet, mit dem Zulassungsantrag die vom Unionsrecht5 geforderten Ergebnisse der präklinischen und klinischen Versuche vorzulegen.

Daher weist das Gericht die auf das Fehlen einer allgemeinen medizinischen Verwendung gestützten Argumente der Kommission zurück und befindet, dass CTRS eine allgemeine medizinische Verwendung von Cholsäure nachgewiesen hat.

Außerdem hat CTRS nachgewiesen, dass sie keine vollständigen Daten über die Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels bei bestimmungsgemäßem Gebrauch zur Verfügung stellen konnte, weil bestimmte Ausnahmefälle6 im Sinne des Unionsrechtsvorlagen.

Das Gericht führt aus, dass der Antragsteller in den präklinischen und klinischen Zusammenfassungen begründen muss, warum er keine vollständigen Angaben über die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels vorlegen kann, und dass er das Nutzen/Risiko-Verhältnis des betreffenden Arzneimittels für seltene Leiden begründen muss, was CTRS im vorliegenden Fall getan hat. Sie hat nämlich eine Liste bibliografischer Nachweise über Studien zu Cholsäure vorgelegt und nachgewiesen, dass sie aus objektiven und nachprüfbaren Gründen, und zwar wegen der Seltenheit der in Rede stehenden Erkrankung sowie aus berufsethischen Erwägungen, keine vollständigen Daten zur Verfügung stellen konnte. Zum ersten Grund wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung (am 30. Oktober 2009) nur 90 Patienten betroffen waren, von denen 19 in Frankreich behandelt wurden. In Bezug auf den zweiten Grund ist das CHMP, ohne dass seine Beurteilung von der Kommission in Frage gestellt worden wäre, davon ausgegangen, dass es, da die Teilnahme an einem klinischen Versuch die Patienten dem Risiko schwerer Leberschäden oder sogar des Todes aussetzen würde, den Grundsätzen des ärztlichen Berufsethos widerspräche, eine kontrollierte Studie über die Wirksamkeit von Cholsäure durchzuführen.

Die Kommission hat daher in ihrem Beschluss zu Unrecht angenommen, dass die von CTRS vorgelegten Angaben hätten vollständig sein müssen und dass sie im Rahmen ihres auf eine allgemeine medizinische Verwendung gestützten Antrags nicht das Vorliegen von Ausnahmefällen habe anführen können.

Daher erklärt das Gericht den Beschluss der Kommission für nichtig.

---------------
HINWEIS: Gegen die Entscheidung des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden.

HINWEIS: Eine Nichtigkeitsklage dient dazu, unionsrechtswidrige Handlungen der Unionsorgane für nichtig erklären zu lassen. Sie kann unter bestimmten Voraussetzungen von Mitgliedstaaten, Organen der Union oder Einzelnen beim Gerichtshof oder beim Gericht erhoben werden. Ist die Klage begründet, wird die Handlung für nichtig erklärt. Das betreffende Organ hat eine durch die Nichtigerklärung der Handlung etwa entstehende Regelungslücke zu schließen.
---------------
1Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. L 136, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 und der Richtlinien 2001/20/EG und 2001/83/EG sowie der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378, S. 1) geänderten Fassung und Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. L 136, S. 34)geänderten Fassung.
2Urteil des Gerichts vom 4. Juli 2012, Laboratoires CTRS/Kommission (T-12/12).
3Durchführungsbeschluss K(2012)3306 endg. der Kommission vom 25. Mai 2012 zur Ablehnung der Zulassung des Humanarzneimittels für seltene Leiden „Orphacol – Cholsäure“ gemäß der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des
Europäischen Parlaments und des Rates.
4Richtlinie 2001/83/EG (Art. 5).
5Richtlinie 2001/83/EG (Art. 8 Abs. 3).
6Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (Art. 14 Abs. 8).
-----------------------------------------------------
Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist).