Pressemitteilung
C-677/11;
Verkündet am:
30.05.2013
EuGH Europäischer Gerichtshof
Rechtskräftig: unbekannt! Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-677/11 Leitsatz des Gerichts: Dieser Beitrag stellt nämlich keinen unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährten, dem Staat zurechenbaren Vorteil dar Zum Urteilstext (Englisch!) Zur englischen Version der Presserklärung Im Rahmen des Branchenzusammenschlusses in der Landwirtschaft ermächtigt das französische Recht1 die verschiedenen repräsentativsten Berufsverbände, gemeinhin Stände genannt, einer Landwirtschaftsbranche, sich in einem Branchenverband zusammenzuschließen. Der CIDEF (Comité interprofessionnel de la dinde française [Branchenausschuss für die französische Pute]) wurde von den französischen Behörden als landwirtschaftliche Branchenorganisation anerkannt. Die Berufsverbände, die Mitglieder des CIDEF sind, unterzeichneten im Jahr 2007 eine Branchenvereinbarung über u. a. die Förderung und die Verteidigung der Interessen der Branche sowie über die Einführung eines ursprünglich freiwilligen, später für verbindlich erklärten Beitrags (CVO oder hiernach: Pflichtbeitrag). Diese Vereinbarung wurde ausgedehnt und im Jahr 2009 für alle Branchenangehörigen durch eine stillschweigende ministerielle Genehmigungsentscheidung für allgemein verbindlich erklärt. Die Doux Élevage SNC, eine Tochtergesellschaft des Doux-Konzerns, eines Geflügelerzeugers, und die landwirtschaftliche Genossenschaft UKL-ARREE beantragten beim Conseil d’État (Frankreich) die Aufhebung der am 29. August 2009 durch das Schweigen der Verwaltung auf den Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung der genannten Vereinbarung zustande gekommenen stillschweigenden Entscheidung über deren Allgemeinverbindlicherklärung sowie der Bekanntmachung zur Verkündung dieser Entscheidung. Sie machten geltend, dass der durch die Vereinbarung eingeführte und durch diese Entscheidung für allgemein verbindlich erklärte und allen Branchenangehörigen zur Pflicht gemachte Beitrag eine staatliche Beihilfe darstelle, so dass diese Entscheidung vorab der Europäischen Kommission hätte gemeldet werden müssen2. Unter diesen Umständen fragt der Conseil d’État den Gerichtshof, ob die Entscheidung, mit der die Einführung des CVO ausgedehnt wurde, eine staatliche Beihilfe darstelle. In seinem Urteil vom heutigen Tag antwortet der Gerichtshof, dass die Entscheidung, mit der die Einführung des CVO ausgedehnt wurde, keinen Zusammenhang mit einer staatlichen Beihilfe aufweist, da sie keinen aus „staatlichen Mitteln“ finanzierten Vorteil darstellt. Zunächst weist der Gerichtshof darauf hin, dass staatliche oder aus staatlichen Mitteln den Unternehmen gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, nach dem Unionsrecht verboten sind, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen3. Der Gerichtshof prüft sodann den Pflichtbeitrag im Licht seiner Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Finanzierung durch staatliche Mittel und der Zurechenbarkeit zum Staat. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Pflichtbeitrag von privaten Wirtschaftsteilnehmern erhoben wird, wobei es sich um einen Mechanismus handelt, der nicht zur unmittelbaren oder mittelbaren Übertragung staatlicher Mittel führt. Die durch die Zahlung dieser Beiträge generierten Mittel durchlaufen nicht den Haushalt des Staates oder einer anderen öffentlichen Einheit des Staates, und der Staat verzichtet auf keine wie auch immer beschaffenen Einnahmen wie Steuern, Gebühren, Abgaben oder sonstige Zahlungen, die nach nationalem Recht dem staatlichen Haushalt hätten zugeführt werden müssen. Es ist im Übrigen unzweifelhaft, dass die Branchenorganisationen privatrechtliche Vereinigungen und nicht Teil der öffentlichen Verwaltung sind. Weiterhin steht fest, dass die französischen Behörden auf die Mittel, die aus den Pflichtbeiträgen fließen, nicht zurückgreifen können, um bestimmte Unternehmen zu unterstützen. Die betreffende Branchenorganisation entscheidet über die Verwendung dieser Mittel, die ausschließlich den von ihr selbst bestimmten Zielen gewidmet sind. Ebenso stehen diese Mittel nicht ständig unter staatlicher Kontrolle und zur Verfügung der staatlichen Behörden. Der mögliche Einfluss, den Frankreich auf die Funktionsweise der Branchenorganisation durch die Entscheidung über die Allgemeinverbindlicherklärung einer Branchenvereinbarung für sämtliche Branchenangehörige ausüben kann, kann diese Feststellung nicht ändern. Wie sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten ergibt, überträgt die beanstandete französische Regelung der zuständigen Behörde nämlich nicht die Befugnis, die Zuweisung der Gelder zu lenken oder zu beeinflussen. Darüber hinaus ermächtigen nach der Rechtsprechung der zuständigen nationalen Gerichte die Bestimmungen des Code rural, die die Allgemeinverbindlicherklärung einer Vereinbarung über die Einführung von Beiträgen im Rahmen einer Branchenorganisation regeln, die Behörden nicht, den Pflichtbeitrag einer anderen Kontrolle als derjenigen der Recht- und Gesetzmäßigkeit zu unterwerfen. In Bezug auf diese Kontrolle stellt der Gerichtshof fest, dass der Code rural es nicht erlaubt, die Allgemeinverbindlicherklärung einer Vereinbarung von der Verfolgung konkreter, von den Behörden festgelegter und definierter politischer Ziele abhängig zu machen, da er sehr allgemeine und unterschiedliche Ziele, die eine Branchenvereinbarung fördern muss, um von der zuständigen Verwaltungsbehörde für allgemeinverbindlich erklärt werden zu können, in nicht abschließender Form aufführt. Zudem gibt es in den Akten keinen Anhaltspunkt, der die Annahme erlaubte, dass die Initiative der Auferlegung der Pflichtbeiträge nicht von der Branchenorganisation selbst, sondern von den Behörden ausgegangen sei. Die französischen Behörden handeln nur als „Instrument“, um die Beiträge, die von den Branchenorganisationen zur Verfolgung von ihnen selbst festgelegter Zwecke eingeführt wurden, allgemeinverbindlich zu machen. Daher lassen weder die Befugnis des Staates, eine Branchenorganisation anzuerkennen, noch die Befugnis, eine Branchenvereinbarung auf sämtliche Branchenangehörigen auszudehnen, den Schluss zu, dass die von der Branchenorganisation durchgeführten Tätigkeiten dem Staat zurechenbar sind. Schließlich weist der Gerichtshof in Beantwortung eines Einwands der Kommission darauf hin, dass die von den Branchenorganisationen verwendeten privaten Mittel nicht einfach dadurch zu „öffentlichen Mitteln“ werden, dass sie gemeinsam mit etwaigen aus dem öffentlichen Haushalt stammenden Beträgen verwendet werden. ---------- HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden. ---------- 1Gesetz Nr. 75-600 vom 10. Juli 1975 über die landwirtschaftliche Branchenorganisation (JORF vom 11. Juli 1975, S. 7124). Die Bestimmungen dieses Gesetzes wurden im Code rural et de la pêche maritime (Gesetzbuch für Landwirtschaft und Seefischerei) kodifiziert. 2Gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV. 3Art. 107 AEUV. ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |