Text des Urteils
6 Sa 366/11;
Verkündet am:
06.09.2011
LAG Landesarbeitsgericht Nürnberg
Vorinstanzen: 11 Ca 6191/10 Arbeitsgericht Nürnberg; Rechtskräftig: unbekannt! § 26 Abs. 2 TVöD enthält eine eigenständige Regelung darüber, bis zu welchem Zeitraum ein ins nächste Kalenderjahr übertragener Urlaubsanspruch im Falle der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers angetreten sein muss Leitsatz des Gerichts: BUrlG § 7 Abs. 3; EG-Richtlinie 88/2003; TVöD § 26 Abs. 2 1. § 26 Abs. 2 TVöD enthält eine eigenständige Regelung darüber, bis zu welchem Zeitraum ein ins nächste Kalenderjahr übertragener Urlaubsanspruch im Falle der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers angetreten sein muss. Die Regelung ist als konstitutiv anzusehen; insoweit besteht eine Abweichung zu § 7 Abs. 3 BUrlG mit der Folge, dass der tarifliche Mehrurlaub verfällt, wenn er - und sei es wegen Arbeitsunfähigkeit - nicht spätestens am 31.05. des Folgejahres angetreten wird. 2. Steht fest, dass die Tarifparteien in einem bestimmten Punkt bewusst eine vom BUrlG abweichende Regelung getroffen haben, kommt es auf die Frage, ob sie ein „eigenständiges Urlaubsregime” geregelt haben, nicht an (insoweit möglicherweise abweichend von BAG vom 23.03.2010, 9 AZR 128/09). In dem Rechtsstreit I… D… - Klägerin und Berufungsklägerin - Prozessbevollmächtigte/r: Rechtsanwalt G… E… gegen B… D…, vertreten durch die Bundesamt für M… und F…, dieses vertreten durch den Präsidenten - Beklagte und Berufungsbeklagte - Prozessbevollmächtigte/r: erlässt die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 06. September 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Vetter als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Bachmann und Frank im Namen des Volkes folgendes Urteil: I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 13.04.2011, Az. 11 Ca 6191/10, wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen. II. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen. Die im Jahr 1952 geborene, bei der Beklagten seit 01.11.1980 als Angestellte beschäftigte Klägerin war ab 20.03.2006 durchgehend arbeitsunfähig. Vom 01.06.2007 bis 31.03.2010 wurde ihr von der Deutschen Rentenversicherung befristet Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Mit Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 20.01.2010 wurde ihr eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt. Seit 30.03.2006 ist die Klägerin als schwerbehindert mit einem Behindertengrad von 70 anerkannt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft Vereinbarung die jeweils gültigen Tarifverträge des TVöD oder die jeweils diese ersetzenden Tarifverträge Anwendung. Die Klägerin ließ mit Schreiben ihrer Prozessvertreter vom 26.08.2009 geltend machen, dass ihre Urlaubsansprüche aus den Jahren 2005 und 2006 nicht verfallen und daher abzugelten seien. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 24.09.2009 dahingehend, dass der Klägerin aus dem Jahr 2005 noch 21 Tage Resturlaub, aus 2006 noch 30 Tage Resturlaub zuständen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, dass die Ansprüche bei Arbeitsunfähigkeit nicht verfielen, beziehe sich aber nur auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Der Klägerin ständen also nur 40 Tage Resturlaub zu, die aber erst bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten werden könnten (Anlage zur Klageschrift, Bl. 4 f. d.A.). Auf weitere Anfrage der Prozessvertreter der Klägerin aus dem Jahr 2009 antwortete die Beklagte, der Klägerin ständen einschließlich des anteiligen Zusatzurlaubs für Schwerbehinderte für 2006 noch 24 Tage Urlaub zu, darüber hinausgehender tariflicher Urlaub sei verfallen. Für 2007 sei der Urlaubsanspruch einschließlich des Zusatzurlaubs im Hinblick auf das Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen der bewilligten Erwerbsminderungsrente zu kürzen, so dass nur noch 10 Tage offenständen. Für 2005 seien allenfalls noch 20 Tage offen. Jeglicher tariflicher Mehrurlaub sei verfallen (Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 09.11.2010, Bl. 15 f. d.A.). Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte die Beklagte Urlaubsabgeltung für 54 Tage in Höhe von je 101,99 € brutto pro Urlaubstag an die Klägerin. Mit Schreiben vom 11.05.2010 machte die Klägerin über ihre Prozessvertreter die Abgeltung von 61 Tagen – abzüglich der bereits berücksichtigten 54 Tage – geltend. Die Beklagte wies die Forderung zurück. Mit ihrer am 04.10.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten ausweislich der Postzustellungsurkunde am 12.10.2010 zugestellten Klage macht die Klägerin die Abgeltung weiterer 17 Urlaubstage geltend. Ihr stehe entgegen der Auffassung der Beklagten für die Jahre 2005 und 2006 neben dem gesetzlichen Urlaubsanspruch auch der tarifliche Mehrurlaub zu. Der Europäische Gerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 20.01.2009 ebenso wie das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 24.03.2009 diesbezüglich nicht differenziert. Auch der über den europarechtlich und bundesgesetzlich garantierten Mindesturlaub hinausgehende Mehrurlaub könne bei Arbeitsunfähigkeit nicht verfallen. Es errechne sich ein noch zum Ende des Arbeitsverhältnisses noch offener Anspruch von insgesamt 71 Tagen, den die Beklagte mit der Zahlung für 54 Tage nicht vollständig erfüllt habe. Die Beklagte schulde daher – unter Berücksichtigung des von der Beklagten zugrunde gelegten Tagesentgelts von 101,99 € brutto – eine Zahlung von 1.733,83 € brutto. Die Klägerin hat daher erstinstanzlich beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Urlaubsvergütung für 17 Tage zu je 101,99 € brutto, also 1.733,83 € brutto, zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Anspruch sei nicht begründet. Der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende Anspruch sei verfallen und unterliege der Verjährung. Die Tarifvertragsparteien des TVöD könnten bestimmen, dass der tarifliche Mehrurlaub erlösche. Dies sei vorliegend erfolgt. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Tarifparteien hätten vorliegend kein Erlöschen des tariflichen Mehrurlaubs normiert. Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 13.04.2011 wie folgt entschieden: 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 3. Der Streitwert wird festgesetzt auf € 1.733,83. 4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen. Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, der Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei seitens der Beklagten erfüllt. Der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende tarifliche Mehrurlaub sei nach § 26 TVöD mit Ablauf der tariflichen Übertragungsfrist am 31.05. des jeweiligen Folgejahres verfallen. Die EG-Richtlinie 88/2003 garantiere den Arbeitnehmern einen Mindesturlaub von vier Wochen pro Kalenderjahr. Darüber hinausgehende Urlaubsansprüche unterlägen nicht dem Schutz der Richtlinie. Die Regelungsmacht der Tarifparteien sei auch nicht durch die gegenüber öffentlichen Arbeitgebern eintretende unmittelbare Wirkung von Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie oder die erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BUrlG beschränkt. § 26 TVöD enthalte deutliche Anhaltspunkte für eine Unterscheidung zwischen gesetzlichem und tariflichem Urlaubsanspruch. Die Bestimmung treffe Aussagen hinsichtlich der Dauer, treffe Regelungen für Anspruchsvoraussetzungen und Fristversäumnis. Die Tarifparteien hätten den Verfall des Urlaubsanspruchs dadurch gelockert, dass ein Antritt auch noch bis zum 31.05. des Folgejahres zulässig sei. Das Endurteil des Arbeitsgerichts ist dem Prozessvertreter der Klägerin am 26.05.2011 zugestellt worden. Er hat namens der Klägerin mit Schriftsatz vom 15.06.2011, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 20.06.2011, hiergegen Berufung eingelegt. Er hat die Berufung mit am 15.07.2011 eingegangenem Schriftsatz vom 13.07 2011 begründet. Zur Begründung der Berufung führt die Klägerin aus, nach der Rechtsprechung des EuGH und – dieser folgend – derjenigen des BAG könne ein Urlaubsanspruch bei Arbeitsunfähigkeit nicht verfallen. Es sei gerade Zweck der Entscheidung des EuGH, dass Arbeitnehmer in den Fällen, in denen sie aufgrund bestehender durchgehender Erkrankung keinen Urlaub nehmen könnten, für die noch offenen Urlaubsansprüche entschädigt werden sollten. Dies betreffe nicht nur die im Bundesurlaubsgesetz und der Richtlinie verankerten Mindestansprüche, sondern auch die tarifvertraglichen Ansprüche. Es sei in Abrede zu stellen, dass die Tarifparteien im TVöD eine ausdrückliche Regelung dahingehend hätten treffen wollen, dass im Fall der Erkrankung keine Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs stattfinden solle. Die im TVöD getroffene Regelung beziehe sich nur auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme bei Arbeitsunfähigkeit, gelte nicht für eine durchgehende Erkrankung. Die Auffassung des Arbeitsgerichts liefe auf eine „Bestrafung“ des erkrankten Arbeitnehmers hinaus. Die Klägerin und Berufungsklägerin stellt im Berufungsverfahren folgende Anträge: 1. Das Urteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 30.03.2011, zugestellt am 26.05.2011, Az.: 11 Ca 6191/10, wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weitere Urlaubsvergütung für 17 Tage zu je 101,99 € brutto, also 1.733,83 brutto zu zahlen. 3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen. Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt: 1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 30.03.2011 wird zurückgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Verfahrenskosten. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe nicht erläutert, aus welchen Jahren sie welche Abgeltungsansprüche begehre. Zumindest für die Ansprüche aus 2005 und 2006 sei Verjährung eingetreten. Außerdem seien die Ansprüche nach § 37 TVöD verfallen. Zutreffend habe das Arbeitsgericht zudem darauf abgestellt, dass die Tarifparteien deutliche Abweichungen hinsichtlich des Anspruches gegenüber den gesetzlichen Regelungen getroffen hätten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sachverhalts im arbeitsgerichtlichen Urteil, die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 06.09.2011 (Bl. 61 ff. d.A.) sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Klägerin steht ein Anspruch auf weitere Abgeltung ihres Urlaubs nicht zu. Die Berufungskammer folgt den sorgfältigen Erwägungen des Arbeitsgerichts, denen sie sich in vollem Umfang anschließt, so dass auf eine erneute, nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Im Hinblick auf die in der Berufungsinstanz vorgetragenen Argumente ist folgendes hinzuzufügen: 1. Der Anspruch ist nicht schlüssig, soweit die Klägerin Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2005 geltend macht. Nach § 26 Abs. 1 S. 6 TVöD muss der Anspruch im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Dies entspricht der Regelung des Bundesurlaubsgesetzes (dort § 7 Abs. 3 S. 1). In § 26 Abs. 2 Buchst. a) TVöD heißt es zudem weiter, dass im Übrigen das Bundesurlaubsgesetz gelte, dass der Urlaub „im Falle der Übertragung“ in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden müsse. Sowohl das Bundesurlaubsgesetz als auch der TVöD gehen von einer grundsätzlichen Bindung des Urlaubsanspruchs an das Urlaubsjahr aus. Nur wenn eine Übertragung auf das nächste Kalenderjahr stattfindet, kann der Urlaub im ersten Kalendervierteljahr des Folgejahres genommen – so § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG – oder angetreten werden (so § 26 Abs. 2 Buchst. a) TVöD). Einen solchen Fall der Übertragung hat die Klägerin nicht benannt. Sie hat trotz ausdrücklichen Nachfragens durch die Berufungskammer im Verhandlungstermin vor dem Landesarbeitsgericht keine Angaben dazu machen können, aufgrund welcher Umstände eine Übertragung des für das Jahr 2005 bestehenden Urlaubsanspruches in das Jahr 2006 hinein stattgefunden haben soll. Dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt ist die Klägerin nach übereinstimmendem Sachvortrag erst seit 20.03.2006. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie an der Einbringung im Laufe des Jahres 2005 gehindert gewesen wäre. Die Kammer hat daher davon auszugehen, dass ein auf das Jahr 2005 bezogener Anspruch unabhängig von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes oder des Bundesarbeitsgerichts seit 24.03.2009 (9 AZR 983/07, zitiert nach juris) nicht mehr besteht. Dieser Verfall wegen Zeitablaufs hat mit dem Verfall wegen Arbeitsunfähigkeit nichts zu tun. 2. Zutreffend hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass der zum Ende des Arbeitsverhältnisses dem Grunde nach bestehende Anspruch für die Jahre 2006 und – teilweise – 2007 auf die gesetzlichen Ansprüche beschränkt ist. a. Das Bundesarbeitsgericht hat im Urteil vom 23.03.2010 (9 AZR 128/09, zitiert nach juris) für den Tarifvertrag MTAng-BfA festgestellt, dass die dortigen Tarifparteien mit dem MTAng-BfA eine vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Regelung hinsichtlich des Verfalls getroffen haben (Rn. 34 ff. der Gründe, zitiert nach juris). Dort sei ein weitgehend vom Gesetzesrecht gelöstes „Urlaubsregime“ getroffen worden. Der Senat hat dieses „eigenständige Regime“ in den in § 47 MTAng-BfA getroffenen Regelungen des Inhalts gesehen, dass nach den Tarifvorschriften der Antritt des Urlaubs im laufenden Kalenderjahr oder im Übertragungszeitraum genüge, dass er bei Arbeitsunfähigkeit spätestens am 30.06. des Folgejahres angetreten sein müsse (Rn. 52 der Gründe). Die vorliegend zu bewertenden Regelungen des TVöD unterscheiden sich hiervon nur dadurch, dass der Antritt des Urlaubs im Kalenderjahr nicht genügt, sondern dass dieser im Kalenderjahr genommen werden muss. Im Übrigen haben die Tarifparteien für den Verfall eines ins nächste Kalenderjahr übertragenen Urlaubsanspruchs eine dem MTAng-BfA vergleichbare Regelung getroffen. Es genügt danach der Antritt des übertragenen Urlaubs in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres – der Urlaub muss nicht bis dahin genommen sein –, im Fall von Arbeitsunfähigkeit muss der Urlaub bis zum 31.05. des Folgejahres angetreten sein. Gerade für die Frage, wann der Urlaub bei Arbeitsunfähigkeit angetreten sein soll, trifft der TVöD eine eigenständige Regelung, die im BUrlG in dieser Form nicht vorhanden ist. Die Anwendung dieser Regelung führt dazu, dass vorliegend der tarifliche Mehrurlaubsanspruch aus 2006 wie aus 2007 wegen Nichtantritts spätestens am 31.05.2008 bzw. 31.05.2009 verfallen ist. b. Dabei kann dahinstehen, ob die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zum Vorliegen eines „eigenständigen Urlaubsregimes“ nicht missverstanden worden sind. Die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts dienen der Prüfung, ob die Tarifparteien hinsichtlich des Verfalls eine eigenständige, von den Vorschriften des BUrlG abweichende Regelung getroffen haben, oder ob die eigene Formulierung von Regelungen nur deklaratorische Bedeutung haben. Regeln etwa die Tarifparteien bestimmte Teile des Urlaubsrechts eigenständig, treffen sie aber keine eigenen Regelungen zum Verfall des übertragenen Anspruchs, wird davon auszugehen sein, dass sie insoweit keine vom Gesetz abweichenden Regelungen treffen wollten. Dasselbe gilt, wenn sie vollständig andere Regelungen treffen, so dass sich daraus ableiten lässt, dass diese Regelungen abschließend sein sollen und kein für den – teilweisen – Bezug auf die gesetzlichen Regelungen verbleibt. Für die Auslegung als „deklaratorisch“ bleibt jedoch kein Raum, wenn die Tarifparteien einen bestimmten konkreten Punkt selbst, und zwar deutlich abweichend vom Gesetz, geregelt haben. Die Auslegung, sie wollten dann für den tariflichen Urlaub dieselben Vorschriften zum Verfall regeln, wie dies nach dem Gesetz vorgeschrieben ist, verbietet sich dann. Vorliegend haben die Tarifparteien eine ausdrückliche Regelung gerade für diejenige Konstellation getroffen, die der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 20.01.2009 (a.a.O.), bezogen auf den garantierten Mindesturlaub, zugrunde lag. Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass ein übertragener Urlaubsanspruch bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers jedenfalls nicht mit Ablauf des dem Urlaubsjahr folgenden Kalendervierteljahres oder Kalenderhalbjahres verfallen kann. Er hat mangels Veranlassung keine abschließende Regelung dahingehend getroffen, dass ein solcher Verfall überhaupt nicht möglich wäre mit der Folge, dass der Urlaubsanspruch möglicherweise über viele Jahre hinweg weiter übertragen werden müsse (so ausdrücklich die Generalanwältin in den Schlussanträgen vom 07.07.2011 in der Rechtssache C-214/10, zitiert nach der Homepage des EuGH, Ziff. 46). Das Bundesarbeitsgericht hat daraufhin festgestellt, dass sich die Regelung des § 7 Abs. 3 BUrlG – die eigentlich einen solchen Verfall bei Arbeitsunfähigkeit postuliert – dahingehend europarechtskonform reduzieren lasse, dass sie den Fall der Arbeitsunfähigkeit nicht betrifft. Damit ist davon auszugehen, dass das BUrlG für den Fall, dass dem Arbeitnehmer die Einbringung des übertragenen Urlaubs wegen Arbeitsunfähigkeit unmöglich ist, überhaupt keine Regelung enthält. Anderes gilt für den TVöD. Dort haben die Tarifparteien eine Regelung exakt für die genannte Konstellation getroffen, und zwar mit der Formulierung, das Bundesurlaubsgesetz gelte „mit folgenden Maßgaben“ und der dann folgenden Festlegung des Verfalls des übertragenen Urlaubsanspruchs gerade bei Arbeitsunfähigkeit. Am Willen der Tarifparteien, eine vom Gesetz abweichende besondere eigene Regelung gerade für den Fall der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers im Übertragungszeitraum treffen zu wollen, kann daher schon nach dem Wortlaut nicht gezweifelt werden. Das BAG hat zudem ausdrücklich klargestellt, dass es an einem Gleichlauf zwischen gesetzlichem Mindest- und tariflichem Mehrurlaub dann fehlt, wenn der Tarifvertrag entweder zwischen gesetzlichen und tariflichen Ansprüchen unterscheidet oder wenn er sowohl für den Mindest- als auch für den Mehrurlaub wesentlich von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende Übertragungs- und Verfallsregelungen bestimmt (Urteil vom 12.04.2011, 9 AZR 80/10, zitiert nach juris, Rn. 27). Im Tarifvertrag für das Bodenpersonal war dies nicht der Fall; dort waren die Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes hinsichtlich des Verfalls des übertragenen Urlaubsanspruchs inhaltlich exakt übernommen worden; aus diesem Grund hat das Bundesarbeitsgericht die Tarifregelung in der dortigen Entscheidung als nur deklaratorisch angesehen. Für die vorliegende Tarifregelung im TVöD gilt dies gerade nicht (so auch LAG Rheinland-Pfalz vom 19.08.2010, 10 Sa 244/10; LAG Düsseldorf vom 20.01.2011, 11 Sa 1492/10, zitiert nach juris). Das die andere Auffassung vertretende LAG Hamm (Urteil vom 24.02.2011, 16 Sa 727/10, zitiert nach juris) berücksichtigt nach der Überzeugung der hier entscheidenden Kammer nicht ausreichend, dass gerade für den Verfall des Urlaubsanspruchs bei Arbeitsunfähigkeit der Wille, eine vom Gesetz abweichende Regelung zu treffen, nach Wortlaut und bezwecktem Ergebnis nicht zweifelhaft sein kann. c. Diese eigenständige Regelung des TVöD mag im Hinblick auf die in der Richtlinie 88/2003 und im BUrlG festgelegten Mindesturlaubsansprüche von vier Wochen im Jahr unwirksam sein. Hinsichtlich des zusätzlichen, diese vier Wochen pro Jahr übersteigenden Mehrurlaubsanspruches sind die Tarifvertragsparteien in ihrer Gestaltung frei. Da sie nicht gezwungen sind, überhaupt Mehrurlaub festzulegen, können sie die Voraussetzungen, unter denen dieser Mehrurlaub entsteht oder auch entfällt, völlig frei regeln (etwa BAG vom 24.03.2009, a.a.O., Rn. 81 der Entscheidungsgründe). Dies haben die Tarifparteien vorliegend getan. Die Tatsache, dass sie damit auch einen Verfall des gesetzlich garantierten Mindesturlaubs normiert haben, macht die Regelung in Bezug auf diesen Mindesturlaub möglicherweise wegen eines Gesetzesverstoßes unwirksam. Für den tariflichen Mehrurlaub gilt dies nicht. 3. Auch die Klägerin geht davon aus, dass der Urlaubsanspruch für das Jahr 2007 entsprechend § 26 Abs. 2 Buchst. c) TVöD im Hinblick auf das Ruhen des Arbeitsverhältnisses nach Bewilligung von befristeter Erwerbsminderungsrente (§ 33 Abs. 2 S. 6 TVöD) nicht vollständig bestand. Der einschließlich des Zusatzurlaubs für Schwerbehinderte nach § 125 SGB IX entstandene Anspruch von 35 Arbeitstagen für das Jahr 2007 konnte daher um 7/12 gekürzt werden. Es verbleibt allenfalls ein Anspruch von 15 Urlaubstagen für das Jahr 2007. Der auf den tariflichen Mehrurlaub entfallende Anteil ist wie dargestellt nach § 26 Abs. 2 Buchst. a) TVöD verfallen. Es bleibt somit ein Anspruch von 5/12 von 25 Urlaubstagen (20 Arbeitstage gesetzlicher Mindesturlaub bei Fünf-Tage-Woche zuzüglich 5 Arbeitstage nach § 125 SGB IX), mithin von 10,4 Arbeitstagen. 4. Letztlich verbleibt ein Anspruch in Höhe von 24 Arbeitstagen aus dem Jahr 2006 – der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte war nach § 125 Abs. 2 SGB IX nur in Höhe von vier Tagen entstanden – und wie dargestellt derjenige aus 2007 in Höhe von 10,4 Arbeitstagen. Die Klägerin hatte einen Abgeltungsanspruch allenfalls für 34,4 Tage zu beanspruchen. Dieser ist mit der gezahlten Abgeltung für 54 Arbeitstage übererfüllt. 5. Selbst wenn man der Auffassung der Klägerin hinsichtlich der Auslegung des TVöD folgen sollte, bestände allenfalls ein Anspruch auf Abgeltung für weitere sieben Tage. Darüber hinausgehende Ansprüche sind nach § 37 TVöD verfallen. Die Klägerin selbst hat dargetan, dass sie nach Fälligkeit des Anspruches mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.01.2010 innerhalb der sechsmonatigen Ausschlussfrist lediglich die Abgeltung für 61 Arbeitstage verlangt hat. Die Klage ist erst nach Ablauf der sechsmonatigen Verfallfrist beim Arbeitsgericht erhoben worden. Die tariflichen Verfallfristen gelten auch für die gesetzlichen Mindesturlaubsansprüche (BAG vom 09.08.2011, 9 AZR 352/10, 9 AZR 365/10 und 9 AZR 945/10, vgl. Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 63/11). 6. Nach alldem bestehen Ansprüche der Klägerin auf Urlaubsabgeltung nicht mehr. Die Klage ist unabhängig davon abzuweisen, ob die Klägerin – wie von der Beklagten eingewandt – ausreichend dargelegt hat, welche Urlaubsansprüche für welche Jahre sie geltend machen will, und ob die die Jahre 2005 und 2006 betreffenden Ansprüche verjährt sind (so etwa LAG Düsseldorf vom 04.05.2011, 12 Sa 1283/10, zitiert nach juris). 7. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen (§§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO). 8. Die Zulassung der Revision erfolgt im Hinblick auf die abweichende Entscheidung des LAG Hamm vom 24.02.2011 (a.a.O.) sowie im Hinblick darauf, ob die Ruhensanordnung des TVöD bei Bezug von befristeter Erwerbsminderungsrente den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch im Sinne der Richtlinie 88/2003 betreffen kann. Rechtsmittelbelehrung: Gegen dieses Urteil kann die Klägerin Revision einlegen. Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben. Die Revision muss innerhalb einer Frist von einem Monat eingelegt und innerhalb einer Frist von zwei Monaten begründet werden. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils. Die Revision muss beim Bundesarbeitsgericht Hugo-Preuß-Platz 1 99084 Erfurt Postanschrift: Bundesarbeitsgericht 99113 Erfurt Telefax-Nummer: 0361 2636-2000 eingelegt und begründet werden. Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Es genügt auch die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten der Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern sowie von Zusammenschlüssen solcher Verbände - für ihre Mitglieder - oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder oder von juristischen Personen, deren Anteile sämtlich in wirtschaftlichem Eigentum einer der im vorgenannten Absatz bezeichneten Organisationen stehen, - wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt - und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet. In jedem Fall muss der Bevollmächtigte die Befähigung zum Richteramt haben. Zur Möglichkeit der Revisionseinlegung mittels elektronischen Dokuments wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I, 519 ff.) hingewiesen. Einzelheiten hierzu siehe unter http://www.bundesarbeitsgericht.de/. Vetter Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Bachmann Ehrenamtlicher Richter Frank Ehrenamtlicher Richter ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |