Text des Beschlusses
11 Ta 243/11;
Verkündet am:
31.08.2011
LAG Landesarbeitsgericht München
Vorinstanzen: 3 BV 65/11 Arbeitsgericht München; Rechtskräftig: unbekannt! Zu den Streitigkeiten nach § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG, für die der ausschließliche Gerichtsstand der Gerichte für Arbeitssachen begründet ist, gehört auch die Rechtsstreitigkeit über die Rechtmäßigkeit einer Wahl der Gesamtschwerbehindertenvertretung Leitsatz des Gerichts: §§ 17 a GVG, 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG, 95, 96, 97 SGB IX Zu den Streitigkeiten nach § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG, für die der ausschließliche Gerichtsstand der Gerichte für Arbeitssachen begründet ist, gehört auch die Rechtsstreitigkeit über die Rechtmäßigkeit einer Wahl der Gesamtschwerbehindertenvertretung. In dem Beschwerdeverfahren 1. M. H. - Antragstellerin, Beteiligte zu 1 und Beschwerdegegnerin - Verfahrensbevollmächtigte: 2. Gesamtschwerbehindertenvertretung der B. AG - Antragsgegnerin, Beteiligte zu 2 und Beschwerdeführerin - Verfahrensbevollmächtigte: 3. Firma B. AG - Beteiligte zu 3 - Verfahrensbevollmächtigte: hat das Landesarbeitsgericht München durch die Vorsitzende der Kammer 11, Richterin am Arbeitsgericht Dr. Eulers, ohne mündliche Verhandlung am 31. August 2011 beschlossen: 1. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 31.05.2011 - 3 BV 65/11 - wird zurückgewiesen. 2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen. Auf Rüge der Beteiligten zu 2 hat das Arbeitsgericht München durch Beschluss vom 31.05.2011 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt. Nach § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG seien diese zuständig für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Gesamtschwerbehindertenvertretung. Dies ergebe sich aus der Verweisungsnorm des § 97 Abs. 7 SGB IX und den Motiven des Gesetzgebers im Jahre 1996, mit der Aufnahme des § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG der Arbeitsgerichtsbarkeit eine umfassende Zuständigkeit für Fragen der Schwerbehindertenvertretung auf allen Ebenen des Unternehmens zuzuweisen. Gegen den ihr am 03.06.2011 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 2 mit Schriftsatz vom 15.06.2011, am selben Tag zunächst per Telefax beim Arbeitsgericht München eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt. § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG erfasse keine Streitigkeit aus § 97 SGB IX. Diese Norm werde in § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG nicht genannt; es handle sich um eine abschließende Aufzählung. Trotz Verweisung in § 97 Abs. 7 SGB IX handle es sich bei der Wahl einer Gesamtschwerbehindertenvertretung nicht um eine Wahl nach § 94 SGB IX. Deshalb seien die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 SGG zuständig, weil mit den Regelungen des SGB IX und mithin auch dessen § 97 öffentlich-rechtliche Normen vorlägen. Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 21.06.2011 nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ergebe sich jedenfalls aus einer teleologischen Auslegung des § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG. Es sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber durch die Einführung dieser Norm der Arbeitsgerichtsbarkeit eine Zuständigkeit lediglich für Streitigkeiten der betrieblichen Schwerbehindertenvertretung zuweisen wollte. Die Beteiligte zu 2 macht hiergegen geltend, dass eine teleologische Auslegung bei einem ausschließlichen Gerichtsstand nicht zulässig sei. Ein ausschließlicher Gerichtsstand bestehe nur dann, wenn das Gesetz die ausschließliche Zuständigkeit einer Gerichtsbarkeit ausdrücklich festlege. 1. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2 ist zulässig. Sie ist statthaft, §§ 48 Abs. 1, 80 Abs. 3 ArbGG, § 17 a Abs. 4 Satz 3 und Abs. 2 GVG, sowie form- und fristgerecht eingelegt, § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, §§ 567 Abs. 1 und Abs. 2, 569 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO. 2. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2 ist jedoch unbegründet. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig, § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG i. V. m. § 94 Abs. 3 bis 7 i. V. m. § 97 Abs. 7 SGB IX, § 95 i. V. m. § 97 Abs. 6 Satz 1 SGB IX. a) Nach § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für „Angelegenheiten aus den §§ 94, 95, 139 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch“. Zu den Angelegenheiten „aus“ den §§ 94, 95, 139 SGB IX - so der ausdrückliche Wortlaut der streitigen Rechtsnorm - gehört die Wahl und Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung i. S. d. § 94 SGB IX sowie darüber hinaus wegen der Verweisung in § 97 Abs. 7 SGB IX auch die Wahl und Amtszeit der Gesamtschwerbehindertenvertretung. Denn § 97 Abs. 7 SGB IX bestimmt, dass § 94 Abs. 3 bis 7 SGB IX entsprechend gelten. Die Regelung, dass eine Rechtsnorm entsprechend anwendbar ist, begründet aber ihre - mittelbare - Geltung. Diese am Wortlaut orientierte Auslegung wird durch die Gesetzessystematik, die Gesetzesgeschichte sowie dem Zweck der Regelung in § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG bestätigt. b) § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a i. V. m. Abs. 2 ArbGG eröffnet die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen in Beschlussverfahren für Angelegenheiten aus den §§ 94, 95 und 139 SGB IX. Diese betrifft Streitigkeiten über die Wahl und die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretungen (§ 94 SGB IX), die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung (§ 95 SGB IX) und die Mitwirkung durch Werkstatträte (§ 139 SGB IX). Hierbei handelt es sich um Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretungen, die in der Organstellung ihres Gremiums ihre Grundlage haben. Diese kollektivrechtlichen Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretungen hat der Gesetzgeber durch die Regelung in § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG hinsichtlich des Rechtswegs und der Verfahrensart betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten gleichgestellt und für Streitigkeiten hierüber die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen im Beschlussverfahren angeordnet (vgl. BAG, Beschl. v. 11.11.2003 - 7 AZB 40/03 -, NZA-RR 2004, 657). § 97 SGB IX betrifft nach seiner Überschrift die Konzern-, Gesamt-, Bezirks- und Hauptschwerbehindertenvertretung. Materiell regelt die Rechtsnorm Rechte und Pflichten der Schwerbehindertenvertretung, die gem. § 94 SGB IX gewählt wird, und der Gesamtschwerbehindertenvertretung, deren Wahl kraft Verweisung in § 97 Abs. 7 SGB IX nach § 94 Abs. 3 bis 7 SGB IX erfolgt: So nimmt die Schwerbehindertenvertretung die Rechte und Pflichten der Gesamtschwerbehindertenvertretung wahr, wenn diese nur in einem der Betriebe oder in einer der Dienststellen des Arbeitgebers gewählt ist, § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Umgekehrt vertritt die Gesamtschwerbehindertenvertretung die Interessen der schwerbehinderten Menschen, die in einem Betrieb oder einer Dienststelle tätig sind, für die eine Schwerbehindertenvertretung nicht gewählt ist; dies umfasst auch die Verhandlungen und den Abschluss entsprechender Integrationsvereinbarungen, § 97 Abs. 6 Satz 1 SGB IX. Nach der Konzeption des Gesetzes werden Schwerbehindertenvertretung und Gesamtschwerbehindertenvertretung je nach Bedarf wechselseitig für die Interessenvertretung der schwerbehinderten Arbeitnehmer zuständig. c) Für die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen auch für die Wahl der Gesamtschwerbehindertenvertretung spricht auch die Gesetzesgeschichte. Bis zum 31.07.1996 war nicht gesetzlich geregelt, von welchem Gericht und in welcher Verfahrensart Rechtsstreitigkeiten über Rechte und Pflichten der Schwerbehindertenvertretungen gegenüber dem Arbeitgeber zu entscheiden sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wurden derartige Rechtsstreitigkeiten wie solche aus dem Betriebsverfassungsgesetz und dem Personalvertretungsrecht behandelt und waren im Beschlussverfahren vom Arbeitsgericht oder vom Verwaltungsgericht zu entscheiden. Der Rechtsweg hing davon ab, ob die Schwerbehindertenvertretung in einem Betrieb der Privatwirtschaft oder in einer Dienststelle, für die Personalvertretungsrecht galt, gebildet war (vgl. BAG, Urt. v. 21.09.1989 - 1 AZR 465/88 -, NZA 1990, 362). Mit Wirkung zum 01.08.1996 wurde § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG eingeführt, wonach Angelegenheiten des neu geschaffenen Werkstattrats nach § 54 c SchwbG (jetzt: § 139 SGB IX) der ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zugewiesen wurden. Zum 01.05.2000 wurde die Regelung in § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG um die Angelegenheiten nach §§ 24 und 25 SchwbG (jetzt: §§ 94 und 95 SGB IX) ergänzt. Nach der Gesetzesbegründung war es im Rahmen der zum 01.08.1996 erfolgten Gesetzesänderung vom 23.07.1996 versäumt worden „klarzustellen, dass nicht nur die Angelegenheiten der Werkstatträte der Behinderten gemäß § 54 c SchwbG, sondern auch die Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretung (§§ 24, 25 SchwbG) im Beschlussverfahren zu entscheiden sind“. Anlässlich der Übernahme der Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes in das SGB IX zum 01.07.2001 erfolgte eine redaktionelle Angleichung von § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG an die Vorschriften des SGB IX (zu allem vgl. BAG, Beschl. v. 30.03.2010 - 7 AZB 32/09 -, NZA 2010, 668). Aus dieser Gesetzesgeschichte ergibt sich, dass es der Wille des Gesetzgebers ist, Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretungen der ausschließlichen Zuständigkeit den Gerichten für Arbeitssachen zuzuweisen. Das Arbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass hiervon „alle Stufen“ der Schwerbehindertenvertretung erfasst sind. Zudem gehört es zu den Aufgaben und damit zu den Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretung, in einzelnen Betrieben oder Dienststellen des Arbeitgebers eine Schwerbehindertenvertretung zu wählen, § 97 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Schließlich gebietet der Sinn und Zweck der Regelung in § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG, die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen auch für die Wahl der Gesamtschwerbehindertenvertretung zu bejahen. Der Zweck der Regelung in § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG geht dahingehend, die kollektivrechtlichen Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretungen insgesamt der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen im Beschlussverfahren zu übertragen. Dies dient der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtssicherheit (vgl. BAG, Beschl. v. 30.03.2010, aaO; auf den Gesichtspunkt der Sachnähe ausdrücklich für die Auslegung des § 2 a Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG hinweisend: BAG, Beschl. v. 11.11.2003, aaO). Diesem Sinn und Zweck widerspräche es, die Anfechtung der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung den Gerichten für Arbeitssachen, diejenige der Wahl zur Gesamtschwerbehindertenvertretung der Sozialgerichtsbarkeit zuzuweisen. Zu den Angelegenheiten „aus“ den §§ 94 und 95 SGB IX, für die § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bestimmt hat, gehören daher auch Angelegenheiten „der Gesamtschwerbehindertenvertretung“ (ebenso: Walker in Schwab/Weth, ArbGG, 2. Aufl. 2008, § 2 a Rn. 83; Roos in Natter/Grosz, ArbGG, 1. Aufl. 2010, § 2 a Rn. 35; GK-ArbGG/Dörner, ArbGG, § 2 a Rn. 72; Düwell in Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX, 3. Aufl. 2010, § 97 Rn. 70; ArbG Köln v. 30.06.2009 - 14 BV 399/08 -, BeckRS 2010, 67485). 3. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG i. V. m. §§ 574 f. ZPO zuzulassen, weil die Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht geklärt ist und deshalb grundsätzliche Bedeutung hat. Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Beschluss kann die Beteiligte zu 2 Rechtsbeschwerde einlegen. Für die Beteiligten zu 1 und zu 3 ist gegen diesen Beschluss kein Rechtsmittel gegeben. Die Rechtsbeschwerde muss innerhalb einer Frist von einem Monat eingelegt und begründet werden. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des Beschlusses. Die Rechtsbeschwerde muss beim Bundesarbeitsgericht Hugo-Preuß-Platz 1 99084 Erfurt Postanschrift: Bundesarbeitsgericht 99113 Erfurt Telefax-Nummer: 0361 2636-2000 eingelegt und begründet werden. Die Rechtsbeschwerdeschrift und die Rechtsbeschwerdebegründung müssen von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Es genügt auch die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten der Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern sowie von Zusammenschlüssen solcher Verbände - für ihre Mitglieder - oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder oder von juristischen Personen, deren Anteile sämtlich in wirtschaftlichem Eigentum einer der im vorgenannten Absatz bezeichneten Organisationen stehen, - wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt - und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet. In jedem Fall muss der Bevollmächtigte die Befähigung zum Richteramt haben. Zur Möglichkeit der Rechtsbeschwerdeeinlegung mittels elektronischen Dokuments wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I, 519 ff.) hingewiesen. Einzelheiten hierzu unter http://www.bundesarbeitsgericht.de Dr. Eulers ----------------------------------------------------- Die von uns erfassten Urteile wurden oft anders formatiert als das Original. Dies bedeutet, daß Absätze eingefügt und Hervorhebungen durch fett-/kursiv-/&farbig-machen sowie Unterstreichungen vorgenommen wurden. Dies soll verdeutlichen, aber keinesfalls natürlich den Sinn verändern.Wenn Sie vorsichtshalber zusätzlich die Originalversion sehen möchten, hier ist der Link zur Quelle (kein Link? Dann ist dieser Link nicht in unserer DB gespeichert, z.B. weil das Urteil vor Frühjahr 2009 gespeichert worden ist). |